Eine klare Nacht im Ammergebirge

Nacht von Donnerstag, den 28., auf Freitag den 29. April 2022:

Es ist Ende April, und geht auf Neumond zu: Will heißen beste Galaxienzeit schon am Abendhimmel !
Fürs Wochenende sollte es laut der Wetterberichte bedeckten Himmel geben, für die beiden Nächte davor
sahen die Prognosen aber ziemlich gut aus: Wobei die Nacht auf Freitag nochmal spürbar trockener wäre.
Und ich hatte den Freitagvormittag noch frei, und so bot es sich an, den "Fünfling" für diese Nacht mal
wieder auszuführen - mit der Option einer Übernachtung vor Ort im Auto.

Ich wollte mir nochmal das Ammergebirge anschauen: Auf bayerischer Seite sind die guten - sprich echt
dunklen - Parkplätze im Naturschutzgebiet nachts ja alle gesperrt. Auf der Tiroler Seite bin ich hingegen
auf keine entsprechenden Verbotsschilder gestoßen: Sehr schön, so brauchte es kein Umdrehen zurück zum
potentiellen Ausweichziel Geigersau.

Am späteren Beobachtungsplatz: Noch hat es ein paar Wolken ...

Stattdessen blieb ich gleich in der Gegend, um zur Stärkung für die kommende Nacht ein mir bereits vertrautes
Gasthaus am Plansee anzusteuern. Mit schönem Seeblick von der Terrasse, und der Vorfreude auf eine alpine
Nacht in großartiger Landschaft :)

Vom anvisierten Parkplatz führt ein kleiner Fussweg ins nahegelegene Gries. Die Wolken hatten sich wie schon
vorhergesagt weitgehend verzogen, der Himmel sah sehr vielversprechend aus ! Ich hatte mir diesmal eine Reihe
recht lichtschwacher edge-on Galaxien ausgeguckt, die zum Teil gar nicht im "Interstellarum Deep Sky Atlas"
eingezeichnet sind; auf einige von ihnen bin ich erst über die Aufnahmen auf Wikisky gestoßen, und hab ihre
Positionen im Atlas eingezeichnet.

Eine kleine Panne ...

Beim Durchsuchen des Rucksacks merkte ich allerdings, dass die kleine Stirnlampe mit dem Rotlicht fehlte:
Ich hatte zuhause erst den kleineren Rucksack gepackt, hab mich dann aber umentschieden, einen größeren
Rucksack zu nehmen - und dabei die Stirnlampe im Seitenfach des kleineren vergessen. So hatte ich für die
Nacht gar keine vernünftige Lampe dabei, und ohne Karte waren die schwachen Galaxien sicher nicht zu finden.
Was tun ? Bis zum Dunkelwerden war noch bisserl Zeit, also: Die genauen Positionen im Atlas büffeln ! Ich hab
mich dann auf drei Galaxien konzentiert. Das Ganze erinnerte mich an Situationen in der Schulzeit, wo es hieß:
"Wir schreiben heute eine Ex", und man noch schnell unter Zeitdruck gelernt hat ;-)

Später am Platz achtete ich dann genau darauf, wo ich was hinlege, um nichts Wichtiges im Dunkeln zu vergessen.

In Erwartung der Nacht mit meinem 9,5-Zoll "Fünfling"

Der Rabe passt gut in den südlichen Einschnitt

Ich mag die Stimmung, wenn es dunkel wird, und die Sterne nach und nach herauskommen. Ab und an war ein Kauz
zu hören, und noch weitere Vogelstimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Der Löwe stand hoch im Süden, und ich
verwendete Regulus zur Justage am Stern. Als erstes stellte ich das bekannte "Leo-Triplett" ein, das Dreieck aus den
Galaxien M65, M66 und NGC 3628. Bei M66 konnte ich den weit nach Süden ausgreifenden Spiralarm indirekt gut
erkennen. Ich erinnerte mich auch an Stathis Aufnahme des interessanten Galaxienpaares NGC 3501/3507, kannte die
Position aber nur sehr grob. Nach bisserl erfolglosem Rumrühren in der vermuteten Himmelsgegend gab ich es wieder
auf - ich denke, nächstes Mal vergesse ich die Lampe nicht ;-)

Wikisky-Aufnahme: Einige Ziele rund um M49 und NGC 4365

Beim "Lernen" vorhin hatte ich mich auf ein Areal im Südwesten des Virgohaufens konzentriert, um einige der dort
anvisierten schwachen Objekte auch ohne Karte zu finden. Zum Einstieg wurde die 8,4 mag helle elliptische Galaxie
M49 gewählt: Nicht weit entfernt fallen die auch recht hellen NGC 4526 - eingerahmt von zwei 7 mag hellen Sternen -
und NGC 4535 sogleich ins Auge. Letztere hat auch den Beinamen "Lost Galaxy", und hatte mir im 20-Zöller von
Ralph schon mal ein subtil-spiraliges "S" offenbart.

Im Detail: Das Feld bei NGC 4365

Startpunkt für zwei weitere Ziele war dann NGC 4365 (8,6 mag),
eine 9,6 mag helle elliptische Galaxie mit einem auffälligem Kern.
Ich hatte im Hinterkopf, dass im Südwesten noch weitere Galaxien
herumliegen: Von denen konnte ich NGC 4342 und NGC 4343 gut
erkennen und nachträglich genau zuordnen.

Besonders interessierte mich die dünne Galaxie IC 3322A, die mit
immerhin 12,8 mag Gesamthelligkeit geführt wird. Ich fand das
Teil aber recht schwierig: Nur blickweise tauchte indirekt - an der
erwarteten Stelle - ein geisterhaftes Leuchten auf, sehr schmal und
relativ groß. Übrigens leuchtete hier 2021 eine fast 13 mag hell
werdende Supernova auf, die ich seinerzeit verpasst habe.

Weiter östlich war mir auf Wikisky der schöne bläulich-orange
Farbkontrast eines Doppelsterns aufgefallen, das wollte ich auch
live mit 9,5" sehen: Sehr schön, die Farben kamen gut heraus !

Im Detail: Das Feld im Nordwesten

Weiter im Norden hatte ich mir speziell NGC 4356 (13,3 mag)
vorgemerkt, die Galaxie erscheint fast direkt an ein 12 mag
helles Sternchen angeschmiegt. Ich fand sie etwas einfacher als
IC 3322A vorher, auf beiden Seiten des Sternchens konnte ich
indirekt eine "Verlängerung" ausmachen - eindeutig, sehr nett.

NGC 4445 (12,9 mag) war schließlich das dritte meiner speziellen
Ziele, und in doppelter Hinsicht am einfachsten: Beim Auffinden -
das Teil bildet ein längliches Dreieck mit einem markanten 10 mag
Sternpaar -, und beim Erkennen: Das relativ große, sehr längliche
Fleckchen konnte ich mit indirektem Sehen problemlos erkennen.

Die nicht weit entfernten, wesentlich helleren Galaxien NGC 4417,
NGC 4424 und NGC 4442 fielen im Feld sofort ins Auge.

Unterwegs im Virgohaufen

Als nächstes wechselte ich über die helle edge-on NGC4216 rüber ins Zentrum des Virgohaufens, wo es von Galaxien
ja nur so wimmelt: Das Feld um M84 und M86 ist immer wieder spektakulär, und über die Markariankette, M88, M90
und M58 ging es schließlich zum eindrucksvollen "V" der "Siamesischen Zwillinge" (NGC 4567/68) - die sollen nach
neueren Erkenntnissen aber nur zufällig in einer Sichtlinie liegen, und physisch gar nicht zusammengehören. Weiters
gelangte ich über M59 zu M60. Ihre Nachbargalaxie NGC 4647 beherbergte gerade eine Supernova: Inzwischen auf
beachtliche 12,5 mag Helligkeit geklettert, lag sie am Rand der Galaxie, in Richtung zu M60 hin - das war im Fünfling
bei 97x alles sehr schön zu sehen. Weiter im Osten nahm ich noch das Galaxienpaar NGC 4754/4762 mit; letztere wirkt
wie ein heller, gerader Strich mit dickerem Kern - sehr lohnend.

Dann noch ein Besuch bei dem sehr reichen, gut 300 Millionen Lichtjahre entfernten Coma-Galaxienhaufen Abell 1656:
Die beiden 11,5 und 11,7 mag hellen Hauptgalaxien NGC 4889 und NGC 4874 fielen schnell ins Auge, und drumherum
zeigten sich noch einige weitere (Galaxien-)Fleckchen.

Klassischer Frühlingshimmel im Süden

Osthimmel: Wega (links) und Arktur (rechts)

Die Highlights genießen

Ohne verwendbare Karte hab ich mich schließlich ganz aufs Genussspechteln verlegt. Der Fünfling hat die nötige
Öffnung, um M13 bei entsprechendem Himmel schon so richtig glänzen zu lassen: Wunderbar ästhetisch bei 97x,
160x und 225x, mit einer Unmenge an Einzelsternen. Ähnliches gilt auch für NGC 4565: Sehr hell, das Staubband
problemlos sichtbar. Deutlich kam auch die Spirale von M51, und die Kugelhaufen M3, M5 und M92 zeigten viele
weitere Sternchen.

So schön die Nacht war, gegen 1:30 stellte ich mir die Frage: Bald heimfahren, solange ich noch fit genug war, oder
bleiben und dann im Auto übernachten. Ich entschied mich fürs Fahren; es ging über das nächtliche Graswangtal
und eine ziemlich leere Autobahn zurück in die Stadt - ohne den morgendlichen Berufsverkehr. Gegen halb vier
war ich wieder zuhause: Schee wars :)

Noch eine Geschichte am Rand:

Als ich einem Freund von der Nacht erzählt habe, meinte er, dass im Planseegebiet seit mehreren Jahren
ein Braunbär unterwegs ist. Im Gegensatz zu Bruno ist er wohl sehr scheu und vorsichtig - gut für alle Seiten.
Wenn er bei mir aufgetaucht wäre, hätt ich ihm zur Besänftigung nur vorschlagen können, auch mal einen Blick
auf M13 zu werfen ;-) Gegenüber einem Bären ist ein unbewaffneter Mensch im Konfliktfall halt in jeglicher
Hinsicht weit unterlegen: Ob Kraft ("Bärenkräfte"), ob Schnelligkeit, ob Kletterfähigkeit - keine Chance.


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